Das Elliott-Wellen-Prinzip: Eine detaillierte Analyse

Author

Gianluca Jahn

Stand: 21. Januar 2025

Einleitung

Das Elliott-Wellen-Prinzip ist eine der bekanntesten Theorien in der technischen Analyse und dient zur Vorhersage von Marktbewegungen. Es wurde in den 1930er Jahren von Ralph Nelson Elliott entwickelt, der erkannte, dass sich Märkte nicht zufällig bewegen, sondern einer bestimmten Struktur folgen. Die Theorie basiert auf der Annahme, dass Marktbewegungen in sich wiederholenden Wellenmustern verlaufen, die durch das Verhalten der Marktteilnehmer geformt werden. Es handelt sich beim Elliot-Wellen-Prinzip also um ein wirtschaftspsychologisches Prognosemodell.

Grundprinzip des Elliott-Wellen-Modells

Das Elliott-Wellen-Modell basiert auf der Annahme, dass das sog. "Sentiment", also die aktuelle Mentalität und Erwartung durch Marktteilnehmer, zwischen Phasen des Optimismus und Pessimismus schwankt, welche Elliott als "Wellen" beschrieb. Das primäre Ziel des Modells liegt darin, das bisherige Marktverhalten zu analysieren und das Kursverlaufsmuster anhand der zugrunde liegenden Regeln zu erklären. Auf Basis dieser Erklärung kann dann eine Prognose für zukünftige Wellenverläufe erstellt werden. Die fraktale Natur dieser Wellen erlaubt, dass sich innerhalb einer Welle eine Sub-Welle ereignet und diese Verschachtelung prinzipiell infinitesimal ausdehnen kann.

Bei diesen Wellen unterscheidet Elliott außerdem konkret zwischen 2 Arten:

  • Impulswellen (Motive Waves): Diese bewegen sich in Richtung des Haupttrends und bestehen aus fünf Unterwellen.
  • Korrekturwellen (Corrective Waves): Diese bewegen sich gegen den Haupttrend und bestehen aus drei Unterwellen.

Impulswellen

Impulswellen bestehen aus fünf Wellen (1, 2, 3, 4, 5), wobei die Wellen 1, 3 und 5 in Richtung des Haupttrends verlaufen, während die Wellen 2 und 4 als Korrekturen dienen. Eine klassische Impulswelle folgt drei Regeln:

Eine fünfteilige Impulswelle nach oben, nach Elliot-Wellen-Prinzip

Eine fünfteilige Impulswelle nach oben, nach Elliot-Wellen-Prinzip

  • Welle 2 darf nicht unter den Startpunkt von Welle 1 fallen.
  • Welle 3 ist niemals die kürzeste der drei Impulswellen (1, 3 und 5).
  • Welle 4 darf nicht in den Bereich von Welle 1 eindringen.

Korrekturwellen

Korrekturwellen bestehen aus drei Wellen (A, B, C), die in entgegengesetzter Richtung zum Haupttrend verlaufen. Es gibt verschiedene Korrekturmuster, darunter:

  • Zigzag-Korrektur: Besteht aus einer starken A-Welle, einer schwächeren B-Welle und einer weiteren starken C-Welle.
  • Flat-Korrektur: A, B und C haben ungefähr die gleiche Länge.
  • Triangle-Korrektur: Besteht aus fünf Wellen, die sich in einem Dreiecksmuster bewegen.
Eine dreiteilige Korrekturwelle, Zigzag-Muster nach Elliot-Wellen-Prinzip

Eine dreiteilige Korrekturwelle, Zigzag-Muster nach Elliot-Wellen-Prinzip

Verstoß gegen die Regeln

Ein Verstoß gegen die erwartete Chartformation indiziert eine ungültige Zählung des vorherigen Chartmusters. Bei Entdeckung dieser ungültigen bzw. fehlerhaften Zählung ist die Zählweise im Nachhinein so anzupassen, dass sich die neuen, primär unerwarteten Marktentwicklungen dadurch erklären lassen. Diesen Übergang nennt man weitläufig eine "Alternativerwartung" zur Primärerwartung.

Anwendung von Fibonacci-Retracements

Elliott-Wellen sind eng mit Fibonacci-Zahlen verknüpft. Während die Grundregeln des EW-Modells richtungsweisend sind, werden Fibonacci-Retracements verwendet, um mögliche Umkehrpunkte der Wellen preislich zu bestimmen.

  • Welle 2 korrigiert meist bei 50%, 61,8 % oder maximal 78,6 % von Welle 1.
  • Welle 4 korrigiert meist bei 38,2% oder 50 % von Welle 3.
  • Welle 5 erreicht oft das 161,8%-Fibonacci-Extension-Level von Welle 1.
  • Korrekturwelle A kann 50% oder 61,8% von Welle 5 retracieren.

Einstiege auf Basis des EW-Modells

Ein erfolgreicher Einstieg in den Markt erfordert eine präzise Identifikation der Wellenstruktur. Hierbei gibt es mehrere mögliche Punkte für den Einstieg:

  • Welle 2 als Korrektur nach Welle 1 (Einstieg nach Retracement)
  • Beginn von Welle 3 (Einstieg beim Überschreiten des Hochs von Welle 1)
  • Ende von Welle 4 (Einstieg in Welle 5 bei Unterstützungsbildung)

Einstiege sollten idealerweise mit zusätzlichen Indikatoren wie RSI, Volumenanalyse oder gleitenden Durchschnitten bestätigt werden, um die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Wellenzählung zu erhöhen.

Verlustbegrenzung bei Invalidierung

  • Unterhalb des Tiefs von Welle 1 (Long-Einstieg in Welle 3)
  • Unterhalb des Tiefs von Welle 4 (Long-Einstieg in Welle 5)
  • Unterhalb des Tiefs der C-Welle bei A-B-C-Korrekturen

🚨Vorsicht vor einem Fehlausbruch

Es ist ratsam, den Stop-Loss mit einem gewissen Puffer zu setzen, um Fehlausbrüche zu vermeiden. Ein kurzer Bruch unterhalb der Zielzone bedeutet nicht notwendigerweise eine Invalidierung der Zählung, solange dieser Bruch nicht nachhaltiger Natur ist.

Fibonacci Extensions

Während Fibonacci-Retracements genutzt werden, um mögliche Korrekturlevel zu identifizieren, helfen Fibonacci-Extensions dabei, zukünftige Preisziele zu prognostizieren. Gängige Extension-Levels: 127,2 %, 161,8 %, 200 %, 261,8 %, 423,6 %.

Kurszielbestimmung

  • Welle 3-Ziel: Meist bei 161,8% der Länge von Welle 1
  • Welle 5-Ziel: 100 % bis 161,8% der Länge von Welle 1
  • A-B-C-Ziel: Welle C entspricht oft 100% oder 161,8% von Welle A

💸 Gewinne absichern

Es ist sinnvoll, Teilgewinne an wichtigen Widerständen mitzunehmen und den Stop-Loss sukzessive nachzuziehen (z. B. durch einen Trailing-Stop), um Gewinne zu sichern und das Risiko zu minimieren.

Trailing Stops

Ein Trailing Stop ist eine besondere Art von Stop-Loss-Order, die sich automatisch mit dem Kurs bewegt, um Gewinne zu sichern. Beispiel: Du kaufst bei 100 Euro, setzt einen 10 Euro Trailing Stop. Steigt der Kurs auf 120 Euro, rückt der Stop auf 110 Euro nach. Fällt der Kurs auf 109 Euro, wird verkauft und der Gewinn von 10 Euro gesichert.

Fazit

Das EW-Modell ist durchaus hilfreich zur Abwägung von Markttrends, wenngleich es, wie jedes andere öffentlich verfügbare Modell, nicht fehlerfrei sein kann. Solltest du das Gefühl haben, das Modell allein basierend auf diesem Artikel noch nicht für dich anwenden zu können, empfehle ich dir das Buch "Elliott Wave Principle: Key to Market Behaviour" von Robert R. Prechter und A. J. Frost.

Meines Erachtens bietet das Buch allerdings einen schrecklich schroffen Einstieg und versagt katastrophal daran, Einsteiger abzuholen, weshalb dieser Artikel – im Idealfall – genau das Einstiegswissen vermittelt, das du brauchst, um dem Buch direkt zu Beginn folgen zu können.

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