Die Efficient-Market-Hypothesis und ihre Implikationen

Author

Gianluca Jahn

Stand: 19. Januar 2025

Die Efficient-Market-Hypothesis - im Zuge dieses Artikels EMH genannt - ist ein grundlegendes Konzept in der modernen Finanzökonomie. Sie wurde maßgeblich von Eugene Fama in den 1960er Jahren entwickelt und basiert auf der Annahme, dass Finanzmärkte informational effizient sind.

Dies bedeutet, dass alle verfügbaren Informationen sofort in den Wertpapierpreisen reflektiert werden, sodass es für Investoren unmöglich ist, durch Analyse oder Handelsstrategien systematisch überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.

Ursprung der Efficient-Market-Hypothesis

Die Wurzeln der EMH gehen auf frühere Arbeiten in der Finanztheorie zurück, insbesondere auf die Forschung von Louis Bachelier im Jahr 1900. Bachelier war der erste, der Kursbewegungen als zufällige Prozesse beschrieb. Später entwickelten Forscher wie Paul Samuelson und Eugene Fama diese Ideen weiter. Famas 1970 veröffentlichter Artikel "Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work" stellte eine systematische Klassifikation der Markteffizienz dar und trug maßgeblich zur breiten Akzeptanz der Theorie bei.

Die drei Formen der Markteffizienz

  • 💠 Schwache Markteffizienz: Alle historischen Preisdaten sind bereits in den aktuellen Kursen enthalten. Dies bedeutet, dass technische Analyse (Chartanalyse) keinen systematischen Vorteil bringt, da alle Muster bereits eingepreist sind.
  • 💠 Halbstarke Markteffizienz: Neben historischen Preisen sind auch alle öffentlich verfügbaren Informationen (z. B. Unternehmensberichte, Nachrichten, Wirtschaftsindikatoren) bereits in den Kursen enthalten. Fundamentalanalyse bietet somit keinen Vorteil, da neue Informationen sofort eingepreist werden.
  • 💠 Starke Markteffizienz: Selbst Insiderinformationen sind bereits in den Kursen enthalten, sodass selbst Insiderhandel keinen überlegenen Ertrag generieren kann.

Implikationen für den Finanzmarkt

Die EMH hat weitreichende Konsequenzen für Investoren, denn sie legt nahe, dass es nahezu unmöglich ist, den Markt systematisch zu schlagen, da alle verfügbaren Informationen bereits eingepreist sind. Langfristig kann aktives Management von Portfolios daher ineffizient sein - so zumindest die Aussage der EMH - und viele Investoren sollten stattdessen eher auf passive Anlagestrategien wie Indexfonds zurückgreifen.

Ob dem wirklich so ist, erfahren wir in einem späteren Teil dieses Artikels.

Random Walk und die Theorie der zufälligen Preisbewegungen

Eng mit der EMH verbunden ist die Random-Walk-Theorie, die besagt, dass Preisbewegungen auf den Finanzmärkten zufallsbasiert sind. Nach dieser Theorie folgt die Kursentwicklung einer Aktie einem Zufallsprozess, wodurch Kursänderungen unvorhersehbar sind. Dies impliziert, dass vergangene Kursverläufe keine Rückschlüsse auf zukünftige Bewegungen zulassen, was die technische Analyse als wenig nützlich erscheinen lässt.

Die Random-Walk-Theorie stützt sich auf die Annahme, dass neue Informationen zufällig in den Markt gelangen und sich sofort im Preis widerspiegeln. Da neue Informationen nicht vorhersehbar sind, bewege sich die Preise ebenfalls zufällig.

Die Brownsche Bewegung und ihre Verbindung zur Finanztheorie

Ein mathematisches Modell, das häufig zur Beschreibung der Random-Walk-Bewegungen in Finanzmärkten verwendet wird, ist die Brownsche Bewegung. Dieses Konzept stammt ursprünglich aus der Physik und wurde nach dem Botaniker Robert Brown benannt, der die zufällige Bewegung von Teilchen in einer Flüssigkeit beobachtete. In der Finanzwelt wird die Brownsche Bewegung genutzt, um Aktienkursbewegungen zu modellieren.

Aktienkurse spiegeln Informationen aus Gewinnmitteilungen schnell wider, was es schwierig macht, den Markt zu schlagen. Quelle: Martineau (2022)

Aktienkurse spiegeln Informationen aus Gewinnmitteilungen schnell wider, was es schwierig macht, den Markt zu schlagen. Quelle: Martineau (2022)

Die Brownsche Bewegung beschreibt eine kontinuierliche, zufällige Bewegung mit unabhängigen, normalverteilten Preisänderungen. In der Finanzmathematik ist sie die Grundlage für viele Modelle, darunter das berühmte Black-Scholes-Modell zur Bewertung von Optionen. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass Aktienpreise einer geometrischen Brownschen Bewegung folgen, was bedeutet, dass Preisänderungen logarithmisch normalverteilt sind.

💡 Haben wir dein Interesse geweckt?

Deutlich mehr Wissenswertes zu Brownschen Bewegungen und dem Black-Scholes-Modell findest du in diesem Artikel zu Derivatsbepreisungen.

Invalidierung der Efficient-Market-Hypothesis

Als naturwissenschaftlich interessierte Leser möchten wir uns natürlich nicht nehmen, die Efficient Market Hypothesis anzufetchen. Machen wir es uns daher erst einmal leicht und betrachten zunächst die stärkste Form der EMH.

Starke Markteffizienz

Diese ist am einfachsten zu invalidieren, da Insiderhandel nicht grundlos illegal ist und es jede Menge Fälle von erfolgreichem Insiderhandel gibt, die bestätigen, das dieser Insiderhandel durchaus mit erhöhtem Gewinnpotenzial verbunden sein kann:

Ein prominentes Beispiel ist Ivan Boesky, ein erfolgreicher Investor und Arbitrage-Händler an der Wall Street. Arbitrageure verdienen Geld, indem sie Aktien von Unternehmen kaufen, die Ziel einer Übernahme sind, und dann auf den steigenden Aktienkurs spekulieren. Doch Boesky ging einen Schritt weiter: Er nutzte illegale Insiderinformationen über geplante Übernahmen, um sich einen unfairen Vorteil zu verschaffen. Boesky zahlte eine Rekordstrafe von 100.000.000 USD - Geld, das er ohne Insidertrades nicht gehabt hätte - und diente als Inspiration für den Film Wall Street (1987) – die berühmte „Greed is good“-Rede von Gordon Gekko basiert auf Boesky.

Halbstarke Markteffizienz

Die halbstarke Markteffizienz besagt im Umkehrschluss, das einzig und allein Insiderinformationen einen Vorteil am Markt begünstigen können und, das der Markt ohne diese langfristig nicht geschlagen werden kann. Die wohl prominentesten Beispiele dagegen sind Warren Buffet sowie Jim Simons, wohingegen die meisten von euch den ersten und die wenigsten von euch den zweiten Namen kennen werden.

Warren Buffet, einer der vermeintlich besten Investoren unserer Zeit, erzielte über seine Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway zwischen 1965 und 2023 eine durchschnittliche, jährliche Rendite von ~19.8% und lag damit ziemlich deutlich langfristig über dem Marktdurchschnitt. Der ursprüngliche Mathematiker Jim Simons begann in den späten 70er Jahren, sich mit Aktien zu beschäftigen, gründete daraufhin 1982 seine Investmentgesellschaft Renaissance Technologies und fuhr mit dem Flagschiff des Unternehmens, dem Medaillon Fond, hzwischen 1988 und 2018 einen durchschnittlichen, jährlichen Gewinn von unglaublichen 66% ein.

Auch, wenn nicht bekannt ist, mit welchen Methoden Warren Buffet und Jim Simons arbeiteten, ist klar, das diese nicht auf Insiderinformationen angewiesen waren. Ihre Trades wurden oft Jahre im Voraus gesetzt, sodass Insiderinformationen diese Trades nicht begünstigt haben können.

Schwache Markteffizienz

Die Theorie der schwachen Markteffizienz beruht auf der Annahme, dass alle bisherigen Preisbewegungen in die aktuelle Bepreisung bereits eingeflossen und somit "eingepreist" sind. Es besagt also, das Charttechnik im Kern überflüssig ist und keinen Vorteil am Markt bieten kann. Das könnten wir nur widerlegen, indem wir das eine Charttechnik-Modell präsentierten, welches durch dessen Anwendung auf den Markt einen reproduzierbaren Vorteil bäte.

Was prinzipiell denkbar ist, wurde bisher noch durch keines der Charttechnik-Modelle zur Analyse von Finanzmärkten demonstriert. Jedes Jahr entstehen neue Modelle zur Chartanalyse - einige von ihnen brachten ihren Erfindern sogar Nobelpreise ein. Wenngleich manche dieser Modelle profitabel verwendet werden können, ist keines dieser Modelle in öffentlicher Hand so präzise, dass es zukünftige Preise mit Sicherheit richtig vorhersagen kann.

Das Paradoxon berechenbarer Kurse

Wie dir eventuell aufgefallen ist, sind die einzigen Faktoren, die gegen die EMH sprechen, Faktoren, die der Allgemeinheit vorenthalten sind: Jim Simons starb 2024 und nahm die Geheimnisse seines Medaillon Fonds so mit ins Grab. Ihm deshalb Gier oder Egoismus zu unterstellen wäre allerdings zu kurz gedacht.

Das Paradoxon berechenbarer Kurse liegt nämlich darin, das Simons' Bewertungsstrategie in dem Moment seine Wirkungsfähigkeit verloren hätte, in dem er sie veröffentlich hätte. Millionen von Tradern würden seine Strategie anwenden und jedes Unternehmen, dass nach seiner Strategie unterbewertet wäre, würde mit sofortiger Wirkung so stark von etlichen Marktteilnehmern nachgekauft werden, dass es seine Unterbewertung nach Simons' Strategie sofort verliert: Seine Strategie könnte also, wenn überhaupt, nur noch von einigen, wenigen Marktakteuren und unter Automatisierung angewandt werden, um Unterbewertungen in bloßen Millisekunden aus dem Markt zu spülen.

Wieder andere Investoren würden darauf wetten, dass ihre Opposition auf eben diese Strategie von Simons' setzt und könnten Märkte so manipulieren, dass Unternehmen eine "gefälschte" Unterbewertung aufweisen. In Summe: Das Hervorsprießen einer öffentlich zugänglichen Strategie, den Markt zu schlagen, invalidiert sich augenblicklich bei Veröffentlichung selbst.

Die tatsächliche Kernaussage der EMH

Auch, wenn wir 2 von 3 der Formen der EMH widerlegen konnten, bleibt ihre Kernaussage relevanter denn je: Märkte als wirtschaftspsychologisches Konstrukt sind effizient. Jeder Marktteilnehmer, der eine vermeintliche Lösung für die Bewegungen der Märkte präsentiert, verändert dadurch eben diese Marktbewegungen auf alle Zeit so stark, dass die präsentierte Lösung invalidiert wird.

Die Ausnahme hierfür bilden Erkenntnisse zu Marktbeobachtungen, die nicht öffentlich geteilt werden. Einzig die mühsam geheim gehaltenen Einblicke in den Determinismus der Finanzmärkte bieten eine Chance, den Markt langfristig zu schlagen. In den folgenden Kapiteln dieser Unterkategorie wollen wir uns ein paar der weniger bekannten Modelle anschauen, die womöglich eine solche Ausnahme darstellen.

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